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(c) Pester Lloyd / 49 - 2014   POLITIK   01.12.2014

 

Mutti kommt! Was die Ungarn von Merkels Besuch erwarten dürfen...

Für den ungarischen Staatsfunk war es DIE Nachricht des Sonntags. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel plant für Februar 2015 einen offiziellen Besuch in Ungarn. Kommt sie, um Orbán im Namen der EU die Leviten wegen der Russland-Politik zu lesen oder gar für den Schutz europäischer Grundwerte, die Rechte der Bürger in Ungarn einzutreten? Man wird enttäuscht sein, denn: Erst kommt Daimler, danch die EVP - und dann kommt die Moral. Danke Ungarn. Und Tschüss! Analyse & Kommentar

Was unter europäischen Staaten eigentlich Routine sein sollte, ist für die Regierung in Budapest heute eine Prestigefrage, denn Staatschefs westlich der Donau meiden "Putins kleinen Bruder" derzeit lieber. So jedenfalls war der Artikel in der "Welt" überschrieben, der den Besuch ankündigte, dabei vor allem die Außenpolitik Orbáns charaktersierte und zu dem Schluss kommt, dass es "kein Zufall" ist, dass Merkel "Orbán persönlich" sprechen will, denn im März geht es auf EU-Ebene um die Verlängerung bzw. Verschärfung von Sanktionen gegen Russland und Orbáns ambivalente Haltung dazu ist ja bekannt.

Selbst Merkel machte sich bei Orbán zuletzt rar. Ihr Besuch in Budapest wäre für die Regierung ein diplomatischer Hauptgewinn..., Foto: MTI

Hinzu kommt, aus unserer Sicht erschwerend, dass Orbán die Sanktionen gegen Russland ja nicht aus Motiven der Völkerfreundschaft kritisiert oder etwa, weil er etwas dafür tun möchte, einen Dialog zwischen Ost und West jenseits der beidseitig verübten Kaltkriegs-Reflexe und globalen Machtspielchen zu entwickeln, sondern nur, weil er sich einen geldwerten Vorteil daraus errechnet, dass er sich von Moskau als Spaltpilz der EU missbrauchen lässt. Die "Ostöffnung" ist nichts weiter als die Suche nach Machtstützen und Finanzquellen außerhalb freiheitlicher Ordnungen. Deshalb ist sie gefährlich für Europa wie für Ungarns innere Befindlichkeiten, unabhängig von der Frage, ob diese Art Sanktionen gegen Russland richtig oder falsch sind.

Mehr zu Orbáns Schaukelpolitik Ungarn/Ukraine/Russland

Orbán, der Ungarn “befreien” wollte, hat Ungarn u.a. durch einen 10 Mrd. EUR-Kredit von Russland für einen ökonomisch unsinnigen AKW-Ausbau materiell und damit politisch abhängig gemacht, für die kommenden 30 Jahre. Das Land hängt noch stärker am Gastropf von Gazprom als je zuvor. Ohne Not verkaufte man den Russen sogar ein strategisches Erdgaslager auf eigenem Territorium, auf Anweisung von Gazprom-Chef Miller setzte man Gaslieferungen an die Ukraine einfach aus. Für South Stream, wird - politische und (sehr massive) wettbewerbsrechtliche EU-Bedenken egal - noch im Dezember der erste Spatenstich gesetzt.

Budapest, 17. November. Ungarn ohne Orbán. Massendemonstration gegen Korruption und Amtsmissbrauch, - mit EU-Flaggen. Wen besucht Merkel, Orbán oder Ungarn?

 

Dass Orbán auch noch "Autonomie" für die Karpatoungarn in der Westukraine forderte, setzte, angesichts der blutigen "Autonomie"-Forderungen russischer "Urlauber" und ihrer Gastgeber und "Tourguides" im Osten, der Sache die Krone auf. Immerhin ist Orbán konsequent, seine Hatz auf NGO´s im eigenen Land spiegelt Putins Umgang mit den "Agenten des Westens" fast 1:1. Es gäbe zwischen ihm und Merkel also einiges zu besprechen. Orbán bildet sich ein, sein "Ja" zu weiteren Sanktionen gegen Russland für ein Augenzudrücken der Kanzlerin bei den inneren Zuständen Ungarns eintauschen zu können. Damit könnte er richtig liegen.

Natürlich wird offiziell niemals ein solcher Zusammenhang hergestellt, denn die EVP-Kameraden von Orbáns Fidesz geben sich mehr Mühe, die Fassade von Ungarn als einem demokratischen Rechtsstaat aufrecht zu erhalten als es Orbán selbst tut, der ja immer offener seinen mit "illiberaler Demokratie" überschriebenen Raubzug (“Das neue Ungarn wird keine liberale Demokratie mehr sein.”) an den Institutionen und Ressourcen des Landes forciert.

In der Vorwoche war Orbán in Südkorea zu Gange, ungarische Delegationen reisten nach Moskau, Peking, Hanoi, Baku, Ankara, sogar nach Teheran. Der aserbaidshanische Präsidentenbesuch vor zwei Wochen war der Protokollhöhepunkt des Jahres. In den Nachbarländern, wo ethnsiche ungarische Minderheiten leben, führt sich Orbán auf, als wäre er zu Hause, was dort entsprechend ankommt.

Westliche Regierungschefs in Budapest sind dagegen rar gesät und meiden Orbán, wo es nur geht. Selbst am Rande von EU-Gipfeln war Orbán zuletzt fast nur mit Basescu und Cameron zu sehen, beim Klimagipfel in Mailand stattete er Berlusconi einen Privatbesuch ab, weil er zu viel Freizeit hatte.

Zuletzt blamierte Orbán sein Land in Litauen, wo er vorige Woche bei einer NATO-Übung auftauchte, ohne eingeladen gewesen zu sein, um eine Handvoll ungarische Soldaten zu loben. Es war ein kleiner Eklat, aber eine große Peinlichkeit. Im eigentlich den Ungarn sehr gewogenen Polen, braucht die Budapester Machtzentrale derzeit gar nicht erst anklopfen.

 

Mit Norwegen hat man sich überworfen, weil man deren EU-Fonds entgegen der Absprachen kontrollieren will, die Schweiz ist in den Konflikt auch involviert, hält sich aber (wie üblich) bedeckt. Eine für Oktober geplante Reise in die USA musste zunächst protokollarisch schwerst eingeschmolzen werden, weil weder das Weiße noch das Repräsentantenhaus Zeit für Orban haben wollten. Nach den US-Einreiseverboten gegen sechs ungarische Amtsträger Ende Oktober, cancelte Orbán den Trip gänzlich, sein neuer Außenminister, der sich über den Großen Teich traute, wurde von einer Unterstaatssekretärin abgefertigt wie ein Pizzabote.

Daher liegt auf der Hand, warum die Regierungsmedien Merkels Besuch nicht als Krisentreffen der mächtigsten Frau des Kontintens mit einem europäischen Wackelkandidaten, - einem Parias, sondern als Bestätigung für Orbáns Politik werten müssen und werden. Es gibt immer mehr Anzeichen,
dass Orbán außenpolitisch allmählich die Kontrolle verliert und das innenpolitisch überkompensiert, es übertreibt. Vor allem die Selbstkontrolle lässt nach und damit irgendwann auch die Kontrolle über Partei und Land. Äußere Stützen sind für ihn jetzt besonders wichtig.

Es läge nun am deutschen Kanzleramt, gleich im Vorfeld klarzustellen, dass man den systematischen und mittlerweile für Menschen mit Verstand schlicht nicht mehr zu leugnenden Demokratie- und Rechtsstaatsabbau - samt Korruptionsfestspiele - nicht einfach so hinnehmen wird.

Allerdings sollte man bei den CDU-EVP-Kameraden keine zu hoch gesteckten Hoffnungen haben. Allein der Umstand, dass Orbán kein "Linker" ist, genügt den in Kategeorien des Kalten Krieges verhafteten Politikern der Union, um sich mit einer demokratisch anmutenden Fassade zu begnügen. Davon legten Parlamentarier wie Glos, Steinbach, Holmeier oder Mißfelder, die sich kritiklos von Orbán mit Orden “für die neue Weltordnung” behängen ließen, Zeugnis ab. Mißfelder outete im März die völlig verdrehte Denke: man müsse einem Freund gerade dann beistehen, wenn ihm der Wind am stärksten ins Gesicht bläst, sagte der CDU-Mann bei der Zeremonie. Doch wer säte den Wind und entfachte den Sturm? Aber Ungarns Regierung mit Ungarn gleichzusetzen und beide dann als Opfer darzustellen, das kommt hier natürlich prima an, - es ist ja unser Lebenslied, auch wenn es aus einer schmierigen Operette stammt.

Die Republik eine Ruine, doch die Fassade ein Blickfang. Danke Ungarn! Und tschüss... (Plakataktion der Bundesregierung, hier in Sopron)

Und selbst der routinierte Außenpolitiker Elmar Brok in Brüssel, einer der ganz wenigen in der EVP-Riege, der überhaupt bereit war und ist, durchaus auch schwerwiegende Diskrepanzen zwischen existierender Verfassungsordnung in Ungarn und den Grundwerten der Europäischen Gemeinschaft anzuerkennen, begnügt sich am Ende mit "Versicherungen" und "Aussagen" Orbáns und mit dem Verweis, dass man auch "anderswo" Probleme habe. (Siehe dazu auch das aktuelle SWR2 Forum).

Sobald formal Übereinstimmung mit EU-Regularien hergestellt ist, sei es für die “Volksparteien” genug, der Rest wird als Propaganda abgetan. Die gelebte Rechtspraxis, eine amputierte Demokratie oder gar die realen Lebensumstände, 47% Familien, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern jeden Tag etwas Vernünftiges zu Essen auf den Tisch stellen sollen? Ländersache. Eingewickelt in das Bonbonpapier eines "Europa der Nationen"...

Die Highlights / Tiefpunkte aus nur einer Woche:
- Suspendierung von EU-Mitteln wegen falscher Abrechnungen
-
Legalisierung von amtlicher Korruption, Aufhebung von “Insteressenskonflikten”
-
Enteignung der verbliebenen privaten Rentenbeiträge
-
Legalisierte Rassentrennung in Schulen
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Ungarns Bürger, vor allem die, die sich nicht mehr nur in Duldung üben, sollten sich durch die Plakate "Danke, Ungarn!", die in Berlin wie Budapest im Rahmen des 25. Jubiläums des Mauerfalls aufgehängt wurden, nicht irritieren lassen und auch von Merkels Besuch nicht viel erwarten.

Die Deutschen sind den Ungarn dankbar. Ja. Den Regierenden an der Spree aber ist das Standing von Audi, Mercedes, Bosch und Co. allemal wichtiger als die wirklichen Lebensumstände der Bürger, - ob in Ungarn oder Deutschland. Sonst hätte die deutsche Regierung seit 2010 gegenüber Ungarn ganz anders agiert und nicht eine Normalität selbstgerecht vorgegau(c)kelt, die es schon längst nicht mehr gibt. Zugespitzt gesagt: erst kommen die Lohnstückkosten, dann kommt die Moral. Danke Ungarn. Und Tschüss.

red. / cs.sz. / m.s.

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